OGP Fachtagung 2018:

"Migration in globalen Zeiten -
Im Spannungsfeld zwischen lokaler Integration und persönlicher Identität"

Donnerstag, 14.06.2018, Psychiatriezentrum Reichenau/Dtl.

Liebe Tagungsteilnehmer

Vom Reisen in den Welten – Gedanken zum Selbst- und Fremdsein

Eine unserer Wesensart ist unser Bewegtsein, ob durch motio oder emotio. Wir sind auch unterwegs. Als Reisende (frz. gens de passage) kennen wir Sonnen- und Schattenseiten, Segen und Fluch. Unsere je Andersartigkeiten sind uns Reiz, aber auch Anstoss und Frustration. Wie gelingt uns ein Leben, indem beide Spannungspole nicht vereinseitigt, sondern in Lebendigkeit integer gelebt werden können? Wo ist Heim im Unheimlichen, wie ist Trost in Trostlosigkeit möglich? Reflektieren wir, was uns und den Anderen sichtbar und bewusst, aber auch tief und unbewusst bewegt (wie es C.G. Jung für sich beanspruchte)?

Auch wir Heutigen leben in bewegten Zeiten. Früher reisten Menschen von Ort zu Ort, dann von Kontinent zu Kontinent. Unser Globus wurde so zunehmend entdeckt, bis wir darüber hinaus gelangten. Seit
APOLLO 8 haben wir eine neuartige Rück-Sicht auf unseren Heimatplaneten Erde in seiner Bahn durch das Weltall bekommen. Gibt es deswegen mehr Re-Spekt? Mediale Techniken verkürzen Wege, nehmen uns die Ferne weg, aber doch – so scheint es – können wir in der Ent-Fernung, also in der Nähe, nur uns selber sehen («Selfies») und verwirklichen. Wo sind die Rück-Sichten, mit denen wir sowohl auf uns wie auch zeitgleich auf den Anderen schauen?

Seit Menschengedenken gibt es Ausbeutung, Gewalt, Vertreibung, Krieg – ob nun im Menschlichen, Wirtschaftlichen oder im Politischen. Können wir, die wir jeder – fast überall – Ausländer sind, dennoch friedfertiger miteinander umgehen?

Wie verhalten wir uns gegenüber dem Fremden (hostis), welcher uns zugleich lockt und erschreckt, der uns folglich als Feind, aber auch als Gast (hospes) erscheinen kann? Früher wurde Fremden noch viel deutlicher ein besonderes Recht und ein Gast-Raum, ein Fremden-Zimmer gewährt. In globalen Zeiten scheint diese Anerkennung für den Anderen zu schwinden. Ein wägender Umgang mit Beachtung des Fremden und die Wahrung
der grundsätzlichen Ebenbürtigkeit in furcht- und achtsamen Umgangsformen menschlicher Begegnungen
ist in den Industrie-/Mediengesellschaften verblasst. Landkulturen bereiten Fremden, etwa modernen Weltall-Reisenden, die vom Himmel auf ihre Erde fallen, einen feierlichen Empfang: So begegnen die Bewohner der kasachischen Steppe den Raum- oder Sternfahrer, indem sie diese kleiden in festliche
Gewänder und sie zum Mahl und Musik einladen (siehe Titelblatt). Betrachten wir hingegen etwa den Massentourismus, so erscheint dort der oder das Fremde verkommen zum Konsumierbaren und Rückständigen – hier ist die Faszination und Unsicherheit der Begegnung in Dominanz, Unterwerfung und Entwertung als Zeichen einer fragwürdigen Sicherung, Kontrollierbarkeit und Berechenbarkeit gewaltsam gewandelt. Ob Fremdenhass oder Selbsthass – der Hass der Nichtgeliebten bedroht uns alle (Arno Gruen).

Was aber wären wir dem Anderen und uns schuldig? Wie kann eine rücksichtsvolle Wahrung des Eigenen und des Anderen zugleich gelingen? Nicht durch Satzwahrheiten mit generellen Gültigkeiten, nicht mit dem kategorischen Imperativ oder mittels eines ethisch-moralischen Regelwerkes gelingt es uns im Wesenskern.

Eine Antwort für respektvollen Umgang unter uns Menschen gibt nicht allein das eigene Streben, Denken und Handeln, welches E. Levinas als den «Ich-lichen Imperialismus» bezeichnet, sondern das «Antlitz des Anderen»: «… mit dem vollkommen Ungedeckten und der vollkommenen Blösse seiner schutzlosen Augen, mit der Geradheit, der unbedingten Offenheit seines Blicks (…) der mir alle Eroberung untersagt.» (Die Spur des Anderen, 1998) Wenn dies Entgegenblicken (Antlitz) des Anderen mich tief berührt und bewegt, so vermag Ich ihm mit meiner Antwort zu begegnen. So bleibt das Ich einem
«Gegenwort», einer Entgegnung fähig – in dieser Wechselseitigkeit ist im Geben und Nehmen menschliche Ebenbürdigkeit und gegenseitige Verantwortung gewahrt. Mit diesen Rücksichten auf den eigenen und auf den gemeinsamen Weg, die als einer Art Wegzehrung (Viatikum) verstehbar sind, können
wir Reisende, die wir mit uns selbst, mit Anderen, in Ländern dieser Erde, auf diesem Planeten durch
das Weltall unterwegs sind, respektvoll begegnen. Denn das Eigene ist das Fremde und das Fremde
das Eigene. Sollten wir so, die wir Grenzwächter, Grenzgänger und Grenzüberschreitende des Anderen
und von uns selber sind, so zwischen und zeitgleich in zwei verschiedenen Welten (Aussen-Innen;
Physisch-Metaphysisch) nicht besser leben und fahren können? Fahrend sind wir unterwegs, mit
Gefährten, auch durch Gefahren hindurch sind wir Erfahrene. Wir alle sind Reisende. Immer. Überall.

Eine gehaltvolle Tagung und Kräfte für uns wie über uns hinaus für Anderen wünscht Ihnen
Christian Präckel-Stein, OGP-Präsident

Das Programm der OGP-Fachtagung vom 14. Juni 2018

9.00-9.25

Eintreffen der Tagungsteilnehmer, Registrierung, Café

9.25-9.30

Grusswort des Gastgebers, Herr Direktor CA Prof. Dr. med. K. Hoffmann

9.30-10.15

Christian Schopper

«Migration und Trauma – Erkennen und Umgang mit traumatischen Erfahrungen und Belastungen von Migranten»

10.15-11.00

Fana Asefaw

«Migration in globalen Zeiten – Was bringen uns die Menschen, und was erhoffen sie sich?»

11.00-11.30

Pause

11.30-12.15

Volker Westerbarky

«Ärzte ohne Grenzen» in aller Welt – Persönliche und organisatorische Erfahrungen und Eindrücke von vor Ort»

12.15-13.00

Podium (Leitung Klaus Elbs)

13.00-14.00

Mittagessen

14.00-14.45

Maggie Schauer

«Menschen in Bewegung – Themen der Migration aus Sicht der Forschung»

14.45-15.30

Klaus Hoffmann

«Transkulturelle Psychotherapie im stationären Setting.»

15.30-16.00

Pause

16.00-17.00

Jan Bulla

«Wer ist in der Minderheit? Forensische Patienten mit Migrationshintergrund.»

16.45-17.00

Plenum, Abschluss